Jugend VS. Sozialarbeit

Wenig Projektgelder, rebellierende Jugendliche oder Orientierungslosigkeit – »Nicht bei uns!« sagen die drei Sozialarbeiter:innen aus dem VILLA Kinder- und Jugendtreff. Ein Interview

Augen auf bei der Berufswahl, heißt es ja. Wie lief das eigentlich bei euch? Wieso habt ihr diesen Beruf gewählt?

Marion: Ich war fasziniert vom Wort »Sozialarbeiterin« – das entsprach sofort meiner Vision, was ich mal machen möchte. Ich hatte sofort eine Menge Ideen, wie unser Leben sozialer werden kann.
Steve: Tatsächlich war der Beruf erst mein Traumberuf an »zweiter Stelle«. (lacht) Erst sollte es Grafikdesign werden, doch das konnte ich mir schlichtweg nicht leisten.
Marco: Als Jugendlicher wurde ich durch die Arbeit des Treibhaus e.V. in Döbeln geprägt. Nach einer Weile als Besucher habe ich angefangen, in Projekten mitzuwirken und ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen.

Wie lange seid ihr nun schon bei der VILLA? Und wie kamt ihr in die VILLA?

Marion: Ich ging zu einigen Veranstaltungen in der VILLA und dann bewarb ich mich im Rahmen meiner Sozialarbeiterausbildung zu einem Praktikum. Das war 1992. Nach dem Abschluss meiner Sozialarbeiterausbildung bekam ich eine der ersten Stellen in der*VILLA.
Steve: Inzwischen bin ich schon über sechs Jahre hier. Die VILLA war eigentlich »nur« als Zwischenstation auf dem Weg nach »weiter weg« geplant, inzwischen bin ich wohl doch schon ein Stück weit hier verwachsen… (grinst Marion an)
Marco: Mein erster Arbeitstag war am 2._Mai_2019, das heißt, ich bin als Sozialarbeiter im offenen Jugendtreff einer der Neuen. Allerdings begleite ich bereits seit 2014 das offene Zirkusangebot »Was ein Zirkus?!«.

Wie war die Situation, als ihr hier mit der Arbeit angefangen habt?

Steve: Herausfordernd. Chaotisch. (lacht) Oftmals auch ein Spiegel meiner eigenen Jugend. Und nahe an den Kindern und Jugendlichen, die den Laden hier Tag für Tag auf links drehen.
Marion: Damals hieß der Kindertreff noch »Kinderladen«. Später kamen Familienhelfer mit Kindern aus sozialen Notlagen dazu. In den ersten Jahren der VILLA gab es für jüngere Kinder und ältere Jugendliche unterschiedliche Treffräume. Jahr für Jahr wurden diese gekürzt. Nun gibt es nur noch EINEN Jugendtreff für alle Altersgruppen.
Marco: Ich hatte einen sehr angenehmen Einstieg, da ich die beiden bereits kannte (lächelt Marion und Steve zu). Ich habe mit der Zirkusarbeit meinen Fokus auf einer jüngeren Zielgruppe. Ich konnte aber auch schnell Kontakt zu den älteren Jugendlichen knüpfen.

Haben sich die Schwerpunkte der Jugendarbeit in den vergangenen Jahren verändert?

Steve: Hatte ich die Büroarbeit schon erwähnt?! (lacht)
Marion: Um die Frage zu beantworten: Ja und nein! Die Schwerpunkte der Arbeit ändern sich alle drei, vier Jahre. Doch grundsätzlich brauchen Kinder und Jugendliche Begegnungsmöglichkeiten für ein selbstbestimmtes, kreatives und gerechtes Miteinander.
Steve: Die Arbeit im Büro ist stetig gestiegen. Dem entgegen steht, dass in unserer Arbeit junge Menschen der eigentliche Fokus sind. Doch das lässt sich nur schwer in wirtschaftliche Denkweisen pressen.

Wenn ihr bei der Dienstberatung zusammen sitzt, werden viele andere Felder (Verwaltung, Personal, Finanzen) angesprochen. Welche Aufgaben habt ihr neben der Jugendarbeit noch?

Marion: Zur eigentlichen Arbeit mit den Jugendlichen gehört vielfältige Vorbereitung und Nachbereitung. Ein wichtiger Punkt ist die regelmäßige Aktualisierung unserer Konzepte.
Steve: Aber auch die Betreuung und Begleitung von Praktikanten und Praktikantinnen, die Konzipierung und Umsetzung von Ferienangeboten oder die Organisation von Veranstaltungen wie zum Beispiel Lesungen im Rahmen der Buchmesse. Und die elementare Netzwerk und Gremienarbeit. Und bestimmt noch mehr, ich hab's nur gerade vergessen. (schaut Marco und Marion an)
Marion: Zeitintensiv ist auch der fachliche Dialog, den wir suchen. Dazu gehören aktuell die Auseinandersetzung zu Themen wie Inklusion, gewaltfreie Mediennutzung, Kinderarmut und Integration von Menschen vielfältigster Kulturen. (Steve und Marco nicken zustimmend)

Auch Angebote für Schulen gehören zum Aufgabenfeld von euch. Was macht ihr hier genau?

Marion: Wir nutzen die Schulangebote überwiegend für Präventionsarbeit im Bereich Gewaltprävention, Suchtprävention und sexualpädagogische Arbeit.
Steve: Mein Bereich ist in erster Linie auf Ferienangebote und Workshops beschränkt. Kurse aus dem Bereich Küche mit Fokus auf gesunder und umweltbewusster Ernährung oder der handwerklich-kreative Bereich wie Glasschneiderei zum Beispiel.
Marco: Ab und an begleite ich Marion oder führe gemeinsam mit meinem Zirkusteam Zirkusschnupperangebote an Schulen durch.

Ist Jugendarbeit nicht ein Knochenjob, welcher einem im Laufe der Jahre die Kraft raubt? Könnt ihr eigentlich noch abschalten, wenn ihr abends nach Hause geht?

Steve: Sicher, aber er gibt auch viel zurück.
Marco: Es ist eher so, dass die Energie, die man hereingibt, von den Jugendlichen auch wieder zurückgegeben wird. Meine Kids im Zirkustreff sind zwar manchmal schwer zu bändigen, aber geben mir ihr Vertrauen zurück.
Marion: Die Jugendarbeit macht so lange Spaß, wie ich erleben kann, dass ich mich auch selber weiterentwickeln kann.
Steve: Die Sache mit dem Abschalten klappt zweifellos aber nicht immer. Doch ich schaffe mir Instrumente, um den Schalter besser umlegen zu können.
Marion: Abschalten gelingt mir am besten, wenn ich mit Freunden unterwegs bin und von anderen Themen und Lebensbereiche etwas mitbekomme.
Marco: Mit meiner jetzigen Stundenanzahl bin ich auf jeden Fall noch nicht ausgelastet. (grinst)

Woran erkennt ihr eigentlich, ob ihr gut gearbeitet habt?

Steve: Wenn unsere Jugendlichen nicht wiederkommen, haben wir gute Arbeit geleistet. (alle drei lachen)
Marion: Für mich ist es immer wieder eine tolle Erfahrung, wenn Jugendliche einige Jahre später als Erwachsene in den Jugendtreff kommen. Wir tauschen gemeinsame Erinnerungen aus. Ich bin jedes Mal begeistert, wie die meisten ihr Leben selber organisieren und ihnen der Jugendtreff geholfen hat, Erwachsen zu werden.
Steve: Ist zwar manchmal ein recht spätes Feedback, aber besser als keins.
Marco: (nickt) Probleme werden angesprochen und können gelöst werden. Wenn die Jugendlichen das Vertrauen fassen und ihre Probleme an uns herantragen und wir diese gemeinsam lösen können, ist das ein Zeichen für erfolgreiche soziale Arbeit.
Marion: Ob wir nachhaltig wirksam sind, können wir nur an ganz wenigen Dingen ablesen. Die meisten Veränderungen finden eher innerlich statt.
Steve: Aber wenn unsere Jugendlichen unsere Unterstützung, unser Angebot nicht mehr benötigen und deshalb nicht mehr wiederkommen, dann haben wir unser Ziel erreicht. (Marion und Marco nicken zustimmend)

Oft wird vom Aufstand der Jungen gegen die Älteren gesprochen. Merkt ihr euren Jugendlichen an, dass sich hier etwas bewegt? Dass sie rebellieren?

Steve: Rebellion sollte unserer Zielgruppe inhärent sein! Würden sie irgendwann nicht mehr rebellieren, würde ich mir große Sorgen machen. Größere als jetzt. Also ja, sie begehren auf.
Marco: Tatsächlich ist es mein Eindruck, dass die Jugendlichen in unserem Treff einen Ort der Erholung sehen, in dem sie keine »Kämpfe« ausfechten müssen, sondern zur Ruhe kommen können.
Marion: Eigene Ausbildungen, Arbeitszeiten, Praktika und Lösung vielfältiger Familien- oder Beziehungskonflikte stehen eher im Mittelpunkt der Lebenswelt unserer Jugendlichen.*(alle nicken zustimmend)
Marion: Wenn wir Jugendliche aus unserem Treff auf politische Themen ansprechen, zeigen sie immer wieder, dass sie gern politisch aktiv mitwirken wollen.
Steve: Und ich würde ihnen gern zuraunen: Widersprecht, wo ihr anderer Meinung seid! Stellt in Frage, was euch nicht passt! Gestaltet eure Welt mit, wann immer ihr wollt! (lacht)

Eure abschließenden Worte

Marion: Die Kinder- und Jugendarbeit in der VILLA ist für über 20 Jahre mein Arbeits- und auch Lebensmittelpunkt geworden. Das wusste ich nicht, als ich damit anfing. Die VILLA ist ein wunderbarer Ort, aus dem immer wieder neue Initiativen und Potentiale für viele Menschen möglich wurden.
Marco: Ich bin schon auf die Zeit gespannt, in der die jüngeren Besuchenden mehr und mehr den Jugendtreff für sich entdecken und wir dadurch eine höhere Altersdiversität vorfinden.
Steve: Die Jugend braucht viel mehr Raum, viel mehr Möglichkeiten, viel mehr Unterstützung, um diese Welt zu ihrer zu machen. Und vielleicht weniger Regeln, denn die schreiben sie sich besser selbst.

Das war 2020

Wir nutzten das Pandemiejahr 2020, um gemeinsam mit den Jugendlichen verschiedene digitale Kanäle zu entdecken und mit ihnen im Kontakt zu bleiben. Wir suchten Orte des Austauschs, damit niemand allein bleibt. Gemeinsam mit den Jugendlichen entwickelten wir neue Kommunikationsformen wie Video-Chats oder Telefongruppen. Neue Ideen, wie das Erstellen eigener Kochvideos, digitale Hausaufgabenhilfe oder Prüfungsvorbereitung, Black-Story-Rätsel oder Zirkustricks ausprobieren, waren uns willkommen.

Der Bedarf an Einzelgesprächen per Telefon mit uns Sozialpädagog:innen nahm erheblich zu. Ärger mit den Eltern, Anträge stellen, Streit mit Freunden, Prüfungsstress oder Geldsorgen blieben nicht aus. Das turbulente, vergangene Jahr stellte gerade unsere Zielgruppe vor teils riesige Herausforderungen.

Zu jüngeren Besucher:innen und den Treffnutzer:innen mit Behinderung konnten wir schwer Kontakt herstellen. Diese Gruppen versorgten wir mit »echten« Briefen und USB Sticks und versuchten so, digitale Teilhabe zu ermöglichen. Die ständig wechselnden Neuregelungen (Hygienekonzepte) des öffentlichen Lebens wirkten verunsichernd. Umso erstaunlicher war es, dass eines der ersten Aktivitäten in den Zeiten des Präsenz-Jugendtreffs das Tanzen war – natürlich mit Abstand. Sich bei lauter Musik temperamentvoll und ausgelassen bewegen, war angesagt.

Wir tauschten gelungene Prüfungsergebnisse und stellten für die italienische Austauschgruppe ein Tanzvideo zusammen. Es entstand ein kleiner Film: La danza con distanza. Die italienischen Jugendlichen antworteten mit einem eigenen Video. So halten wir Kontakt bis zum echten Jugendaustausch.

Jugendliche erreichen uns von Montag bis Freitag von 14 bis 19 Uhr auf dem VILLA-Jugendhandy
01 52-07 26 53 17, auf Insta oder FB villa.freizeittreff oder per E-Mail

Hier findest du uns!

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"Die VILLA"

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